Vor gut 2 Monaten habe ich meine Wohnung aufgelöst, und bin seitdem das erst Mal in meinem Leben als eine Art Nomadin unterwegs. Solange, bis mich ein Ort anregt, länger zu bleiben. Zur Zeit bin ich in Südspanien. Genauer gesagt in Pitres, in den granadinischen Alpujarras. Und noch genauer bin ich zur Zeit hier: https://baileenelaire.com/
Die Zeit seitdem war und ist ein ständiges Rauskommen aus meiner Komfortzone. Komfort im wahrsten Sinne des Wortes. Viele der komfortablen Dinge, die ich die letzten 3 Jahre in meiner Wohnung in Leipzig irgendwann als selbstverständlich angenommen habe, sind hier nicht vorhanden: obwohl es hier in den Bergen im Winter Nachts durchgehend kälter als 5 Grad ist, hat hier praktisch niemand eine Gasheizung. Stattdessen gibt es Holzöfen. Das heißt praktisch: Holz sammeln. Mir genau überlegen, wann ich heizen will. Ob sich der Aufwand für ein, zwei Stunden lohnt. Damit leben, dass sowohl ich, als auch meine Wohnung immer etwas nach Lagerfeuer riechen.
Der nächste Komfortpunkt ist eine heiße Dusche. Die sind hier oben nicht selbstverständlich. Und schon gar nicht drinnen. Baile, wo ich momentan bin, ist mein erster Ort hier oben mit meistens heißem Wasser (das Wasser wird solar geheizt - ohne Sonne kann es auch schonmal kalt bleiben), jedoch ist die Dusche ein paar hundert Meter von meinem Zimmer entfernt. Das heißt im Winter im Regelfall, dass ich aus der heißen Dusche erstmal durchs Kalte laufen muss. Das Dorf ist eine halbe Gehstunde entfernt, einen steilen Hng bergab - und mit dem Einkauf wieder bergauf; weshalb Einkäufe oder Yogastunden sehr genau im Voraus geplant werden müssen. Mal Abends kurz beim Späti das Stück Tofu holen, auf dass ich gerade spontan Bock habe? Keine Chance! W-Lan ist auch nicht selbstverständlich, genauso wie Handy-Netz, sodass ich für jedes Telefonat und Onlinearbeit genau meine Ressourcen planen muss.
Der vielleicht größte Schritt raus aus meiner Komfortzone: ich teile die Gemeinschaftsräume mit anderen Menschen, und meinen Wohnraum mit meiner Partnerin. Das fordert für mich nochmal ein ganz neues Level an Grenzen setzen, was mich regelmäßig überfordert. Mir ist dadurch klargeworden, dass folgende Entscheidung in mir lebendig ist: „ich bin verfügbar“. Ich komme durch die anderen Personen davon ab, was ich eigentlich machen wollte, ich vergesse es regelrecht. Gerade in diesem Moment sitze ich draußen auf der Community-Terasse am großen Tisch und schreibe im Sonnenaufgang. Einer meiner Mitbewohner hat sich soeben mit seinem Frühstück dazugesetzt. Meine Box will mit ihm reden, für ihn „verfügbar“ sein. Ich brauche meine ganze Wutkraft, um weiter bei mir und bei diesem Text hier zu bleiben. Ein Teil von mir freakt gerade total aus deswegen. Ich bin in jeder Sekunde versucht, lieber dem Tischgespräch zu folgen, und meine eigenen Sachen nach hinten zur verschieben.
Ich bin dankbar für diesen ganzen Dis-Komfort. Ich lerne mich neu kennen, und lerne nochmal neu, mich abzugrenzen und für mich selber zu sorgen. Auch wenn ich da gefühlt in meinen ersten Babyschritten bin.
Daneben genieße ich die unendlich weite Natur um mich herum. Die Berge, die kleinen Bergdörfer, die Tiere, und die kleinen Abenteuer, die ich hier erlebe: die bergigen Steilkurven mit einem Auto fahren, dass keinen Tacho und einen angeschlagenen Motor hat, und am Ende einfach stehenbleibt. Mit ein paar Spaniern dieses stehengebliebene Auto erst zu Fuß, und dann mit ihrem Auto quer durch die Stadt anschieben. Auf einem Hang, der fast schon senkrecht ist, Bäume pflanzen. Und dabei nicht vor Schwindel nach unten fallen. Beim Ausflug ans Meer von Feuerquallen angegriffen werden, und dann von einer Dorfbewohnerin mit ihrem Geheimtipp behandelt werd: Essigreiniger. Überlegen, wie ich zum Haupthaus komme, da der Weg von Wildschweinen übersiedelt ist. Umziehen, und am Tag der offenen Tür hier landen, und von 100 Menschen umzingelt sein. Den ersten Wutworkshop in Südspanien anbiteten. Das erste PM Team in Südspanen kreiieren. Den Mulhacen, den höchsten Berg Spaniens, bei Schnee und Eis und ohne Bergausrüstung bezwingen (der Rückweg war ein einziges Schneegerutsche und unheimlich witzig). Und das größte Abenteuer: an keinem Tag wissen, was als nächstes auf mich zukommt.
Ich bin übrigens bei mir geblieben, und habe diesen Artikel verfasst. Ein kleiner weiterer Schritt Richtung Grenzen setzen. Meine Wutkraft ist noch an. Und dahinter gerade eine tiefe Freude und Liebe für mich.